Brief der LAG zur Koalitionsvereinbarung

An die Landesarbeitsgemeinschaften

– Landesvorstand Bündnis 90/Die Grünen –

Berlin, 11. Dezember 2016

Einladung zu unserem LAG-Treffen am 8. Februar 2017
19 Uhr Kiezbüro Grüne Tempelhof-Schöneberg
Fritz-Reuter-Straße 1 (Ecke Dominicusstraße)

Liebe Freundinnen und Freunde,

der Koalitionsvertrag ist in Sack und Tüten. Die neuen Senatorinnen und Senatoren nehmen auf dieser Grundlage ihre Arbeit auf.

Wir schließen uns ausdrücklich der positiven Bewertung des Vertrages in seiner Gesamtheit durch die LDK an und danken denen, die diesen Erfolg ermöglicht haben.

Wir Säkulare sind zuversichtlich, dass die Landespartei im Verhältnis von Staat und Religions- und Weltanschauungen auch noch an Stellen punkten kann, die in der Vereinbarung nicht den Stellenwert bekommen haben, der wünschenswert gewesen wäre. Die LAG Säkulare Grüne möchte gemeinsam mit anderen Berliner Landesarbeitsgemeinschaften, dem Landesvorstand und der neuen Fraktion die anstehenden Handlungsoptionen herauszuarbeiten. Wir möchten dazu einladen, mit unserer LAG die betreffenden Themenfelder gemeinsam zu bearbeiten.

Die LAG Säkulare bittet die neue Fraktion, alsbald die personelle Verantwortung für den Bereich Religions- und Weltanschauungspolitik zu klären, und die dann gewählten Verantwortlichen, sich mit uns in Verbindung zu setzen. Denn in der Zusammenarbeit gibt es erheblichen Optimierungsbedarf. Wir möchten ebenso wie die Gesamtpartei nicht wieder erleben müssen, dass wichtige Entscheidungen wie die Subventionierung des Evangelischen Kirchentags 2017 mit 8,7 Millionen Euro ohne jede interne Diskussion „durchgewinkt“ werden.

Zur Besprechung all dieser Fragen laden wir zu einem ersten Koordinierungsgespräch am 8. Februar 2017 ein. Angesichts der Terminnot vieler engagierter Grüner würden wir uns auch über eine schriftliche Äußerung freuen.

Vorbemerkung

Die LAG Säkulare Grüne möchte ihren Beitrag leisten, endlich einen zukunftsfähigen Ordnungsrahmen für die gleichberechtigte Existenz und das Zusammenleben der vielen Religionen und Weltanschauungen sowie agnostischer oder atheistischer Positionen in unserer Stadt zu schaffen. Das heißt eben nicht, Religion ins stille Kämmerlein zu verbannen. Die BAG Säkulare Grüne hat am Beschluss der BDK in Münster „Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der offenen Gesellschaft“ aktiv mitgearbeitet und auch wir als LAG stehen überzeugt hinter dieser Aussage. Dieser von der gesamten Partei getragene Anspruch lässt sich aber nur verwirklichen, wenn der Staat neutral bleibt und getrennt von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften agiert.

Gerade in Berlin können wir Grünen für eine säkulare Politik viel Zustimmung erwarten, die sich auch in Wähler*innenstimmen niederschlagen wird. Während einige Flächenstaaten im Westen noch immer bis zu zwei Drittel Kirchenmitglieder unter ihren Bürgerinnen und Bürgern zählen, gehört in Berlin nur noch gut jeder Vierte der Römisch-Katholischen- oder der Evangelischen Kirche an. Wer kümmert sich um die „restlichen“ 75 Prozent, wenn nicht wir Grüne?

Das Koalitionspapier begnügt sich in seinen religionspolitischen Aussagen bedauerlicherweise mit einer eher ambitionslosen Unverbindlichkeit. Wenigstens wurden keine Festlegungen getroffen, die uns als Partei einschränken würden. Von daher lohnt es sich, an den säkularen Themen weiter zu arbeiten und für ein entsprechendes Profil dieses Senats und unserer Partei zu sorgen.

Wir als LAG Säkulare Grüne bieten den LAG’en sowie Landesvorstand und Fraktion herzlich unsere konzeptionelle Zusammenarbeit an. Im Folgenden führen wir näher aus, bei welchen Themen wir uns diese Kooperation gut vorstellen können. Selbstverständlich sind wir für weitere Anregungen offen und dankbar.

  1. Religionskapitel in der Koalitions-Vereinbarung

Nur wenige der im Berliner Wahlprogramm der Grünen festgeschriebenen Punkte finden sich im eigentlichen Religionskapitel unter der Überschrift „Tolerant zusammenleben in religiöser Vielfalt“ wieder. Hier wurde eher wenig Verbindliches vereinbart. Nicht einmal zum Dank an das persönliche Engagement vieler Mitglieder der Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften hat es gereicht.

Leider fehlt zudem jeder Satz zur Wertschätzung kleiner Religionsgemeinschaften. Was ist beispielsweise mit der Unterstützung des „Berliner Forums der Religionen“, insbesondere der „Langen Nacht der Religionen“? Auch den Weltanschauungsgemeinschaften wird die Beachtung verweigert. An keiner Stelle wird anerkannt, dass der Humanistische Verband Deutschlands in seinem Lebenskundeunterricht bereits in einigen Jahrgängen sogar mehr Schüler*innen erreicht als der evangelische- und deutlich mehr als der katholische Religionsunterricht.

Auch hinsichtlich der Schaffung von Voraussetzungen für eine gedeihliche Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen fehlt eine klare Positionierung. Einzig ein Satz könnte bei wohlwollender Auslegung als eine Art politische Aussage verstanden werden. Die Koalition verlangt auch von den Religionen und Weltanschauungen die wechselseitige Anerkennung dieser Freiheiten. Leider ist die Formulierung wenig gelungen und so bleibt der Gedanke, dass der Austritt aus einer Religionsgemeinschaft keine Nachteile haben darf, letztlich im Unverbindlichen stecken. Zu einer gedeihlichen Zusammenarbeit gehört auch die Anerkennung der negativen Religions- und Weltanschauungsfreiheit, d.h., der Freiheit vor Religions- und Weltanschauung. Auch an dieser Stelle müssen wir politisch nacharbeiten und in der Politik des Senats für Klarheit sorgen.

Zu unserem Bedauern fehlt der grüne Programmpunkt „Übernahme der Verwaltungskosten für einen Kirchenaustritt durch die Kirchen“. Dabei ist es ohnehin ein Unding, dass Bürger*innen überhaupt vor staatlichen Stellen ihren Ein- oder Austritt aus einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft vollziehen müssen. Hier sollten wir keinesfalls locker lassen. Es kann nicht angehen, dass hier alles beim Alten bleiben soll.

Licht und Schatten beinhaltet der Umgang mit der Stellung der Kirchen in der sozialen Infrastruktur. Den Mut, die Übertragung solcher Projekte an die Kirchen an deren Verzicht auf ihr hausgebackenes Arbeitsrecht zu binden, hatten die Koalitionspartner nicht. Eine solche Übernahme des sogenannten „Osnabrücker Modells“ war auch nicht zu erwarten. Immerhin sollen die Kita-Eigenbetriebe des Landes (25 Prozent) gestärkt werden. Das ist wenig, aber mehr als nichts. Allerdings bedarf dieser Punkt der engagierten Umsetzung, gerade in den Bezirken.

  1. Stellungnahme zum Islam

Müssen kleine Religionsgemeinschaften auch weiterhin vergeblich auf Beachtung warten, konzentriert sich die Koalitionsvereinbarung bedauerlicherweise einzig auf den Islam. Ohne jede Differenzierung zwischen reaktionären und liberalen Gemeinschaften sollen der „Runde Tisch Islam“ und das „Berliner Islamforum“ wieder zum Leben erweckt werden. Es fehlt die Orientierung dieser Veranstaltung an den Menschenrechten, an denen sich potentielle islamische Gesprächspartner messen lassen müssen. Der – berechtigte – Hinweis auf menschenrechtliche Defizite im Selbstverständnis christlicher Religionsgemeinschaften sollte nicht als Generalpardon für reaktionäre islamische Gemeinschaften herhalten müssen. Lediglich die Verankerung islamischer Feiertrag im Bewusstsein der Bevölkerung haben sich die Koalitionspartner in ihre Agenda geschrieben.

Das Kapitel Hochschulen konzentriert sich ausschließlich auf den Islam. Das Institut für Islamische Theologie soll im Hochschulvertrag abgesichert werden. Es findet sich zu unserem Befremden aber keine Aussage darüber, in welcher Weise islamische Verbände und Einzelpersonen sowie islamischer theologischer Sachverstand eingebunden werden sollen. Die Ausgestaltung der Lehre zu den weiteren Religionsgemeinschaften beschränkt sich inhaltlich und vom Zeitrahmen auf eine allgemeine Absichtsbekundung.

Nichts zu finden ist in der Vereinbarung von einem Humanistik-Lehrstuhl. Insofern bleibt das allgemeine Bekenntnis zur Verankerung der Weltanschauungen in der Berliner Hochschullandschaft folgenlos und ohne jede Verbindlichkeit hinsichtlich der Umsetzung.

  1. Ablösung der Staatsleistungen werden nicht erwähnt

Eine schmerzliche Leerstelle in der Koalitionsvereinbarung ist die längst überfällige und vom Grundgesetz verlangte Ablösung der Staatsleistungen, für die alljährlich Millionenbeträge (Berlin: 10 Millionen Euro) aus den (allgemeinen) Steuermitteln aufzubringen sind. Niemandem ist mehr zu vermitteln, warum die Bundesländer bis heute an die großen Kirchen Entschädigungsleistungen zahlen, die durch deren Vermögensverluste im Zuge der Entschädigung für linksrheinische Gebietsverluste der deutschen Fürsten an Napoleon im Jahre 1803 durch den sog. „Reichsdeputationshauptschluss“, entstanden sind.

Das Thema Ablösung der Staatsleistungen ist wie eine Reihe weiterer säkularer Programmpunkte unter den Tisch gefallen, was zeigt, wie wenig sich die Koalitionspartner mit dem Thema Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften beschäftigt haben.

  1. Keine Ansprache der Religionsfreien

Durch die bedauerliche Unverbindlichkeit der getroffenen Absprachen und deren große Lücken wurde eine Chance vertan, die guten politischen Rahmenbedingungen zu nutzen, um Religionsfreie anzusprechen und um den kleinen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu helfen, sich aus der dominanten Umklammerung der immer kleiner und zugleich immer reicher werdenden christlichen Großkirchen zu befreien.

  1. Radikalumbau der St. Hedwigs-Kathedrale unerwähnt

Wir vermissen eine Aussage zum geplanten Kahlschlag der denkmalgeschützen St. Hedwigs-Kathedrale, dem zentralen katholische Kirchengebäude in der Stadtmitte, wie ihn Erzbischof Dr. Heiner Koch plant.

„Nach gründlicher Überlegung und Erwägung im Gebet bin ich entschlossen, die Umgestaltung unserer Kathedrale auf der Grundlage des Entwurfs der Preisträger mit Freude und Tatkraft in Angriff zu nehmen.“ (Auszug aus dem Hirtenwort zu Allerheiligen 2016).

Ein Teil seiner Kirchengemeinde lehnt den geplanten Kahlschlag der denkmalgeschützten Baukunst der 60er Jahre entschieden ab. Hier sind wir gefordert, hinsichtlich der Erhaltung des Denkmalschutzes Position zu beziehen

Ein zweites Problem ist die angestrebte Co-Finanzierung des Umbaus. Die Verantwortlichen wollen ein Drittel der veranschlagten Baukosten von 60 Mio. Euro durch private und öffentliche Zuschüsse finanzieren. Hier werden wir uns ggf. positionieren müssen, ob wir einer Beteiligung des Landes Berlin zustimmen. Nichts von alldem im Koalitionsvertrag.

Wir Säkularen fordern, dass Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag auf finanzielle Hilfen des Landes Berlin für den Umbau ablehnen und zugleich im Rahmen des rechtlich Möglichen auf der Einhaltung der Vorschriften des Denkmalschutzes bestehen.

  1. Rundfunkräte

Erfreulich ist die Einigung im Koalitionsvertrag hinsichtlich der Besetzung des RBB-Rundfunkrats. In Kapitel „Öffentlich-rechtlichen Rundfunk weiterentwickeln“ wird wörtlich festgehalten “Bei der nächsten Änderung des RBB-Staatsvertrags wird die Koalition die Zusammensetzung des RBB-Rundfunkrats hinsichtlich Staatsferne und angemessener Repräsentation gesellschaftlicher Vielfalt verbessern.“

Diese Vereinbarung bietet eine gute Grundlage, die Präsens von NGOs, die nicht im § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RBB-Staatsvertrag erwähnt sind, künftig zu stärken. Das gilt auch für kleine Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, denen bislang ein Präsens in diesem Gremium versagt wurde.

Fazit:

Wir verstehen unsere Anmerkungen als konstruktiven Beitrag für unsere Arbeit als LAG in der Zusammenarbeit mit der gesamten Landespartei. Die zwischen den Koalitionspartnern getroffen Absprachen bieten genügend Raum für politisches Nacharbeiten. Sie verschütten nicht die Entwicklung einer modernen säkularen Metropole Berlin. Es kommt aber nunmehr darauf an, dass wir am Ball bleiben und mit dem Thema in der Stadt die Meinungsführung erlangen.

Wir würden uns sehr über eine Zusammenarbeit auf allen Ebenen der Landespartei freuen.

Mit bündnisgrünen Grüßen

Gudrun Pannier                                         Jürgen Roth

LAG Säkulare Grüne – Sprecherinnen zum Koalitions-Vertrag