Bündnis 90/Die Grünen

Position „Religionspolitische/r SprecherIn“ der Bundestagsfraktion neu definieren.

Mit einem Brief an sämtliche Abgeordnete der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen hat der SprecherInnenkreis des Bundesweiten AK Säkulare Grüne Anfang dieser Woche eine Neudefinition der Position des/r „Religionspolitischen SprecherIn“ der Fraktion angeregt.

In der letzten Legislaturperiode wurde diese Position durch den jetzt aus dem Bundestag ausgeschiedenen Abgeordneten Josef Winkler (u.a. Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und anderer katholischer Gremien) als „Sprecher für Kirchenpolitik und Interreligiösen Dialog“ innegehalten. In dem Schreiben heißt es zur Neukonzeptualisierung u.a.: Eine Ausrichtung auf die christlichen Großkirchen reicht nicht mehr aus. Es genügt auch nicht, nur den bloßen Kontakt zu Religionsgemeinschaften zu suchen, es geht vielmehr auch darum, im Kontakt mit Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften einerseits, aber andererseits auch im Kontakt mit religionsfreien Bürger*innen, grüne Positionen des „Religionsverfassungsrechts“ zu erörtern und zu vermitteln, aber auch, wenn möglich, politisch zusammenzuarbeiten. Auch sollten die Belange religionsfreier Menschen von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN  ab sofort deutlicher wahrgenommen und eine politische Kommunikation mit ihnen aufgebaut werden.“

Zur personellen Besetzung der Stelle wird darauf hingewiesen, dass aus Sicht der Säkularen Grünen „ein Reflexionsvermögen hinsichtlich der Bedeutung der aktuellen Aufgaben im Themenkreis „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“ und ein sachlich-neutrales Verhältnis zu den unterschiedlichen, teils gegensätzlichen Akteuren in diesem wichtigen Politikfeld“ erforderlich sei, wobei es für unerheblich gehalten, ob jemand Mitglied einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft ist. Allerdings heißt es in dem Schreiben weiter: Eine Anbindung des/der von der Bundestagsfraktion zu wählenden Sprecher*in an eine Organisation, die auf dem Feld der Religionspolitik Akteur ist, die über eine bloße Mitgliedschaft hinausgeht und mit Positionen innerhalb der jeweiligen Organisation verbunden ist, würde die Wirkungsmöglichkeiten gegenüber sämtlichen anderen Akteuren auf diesem Feld in den nächsten Jahren beeinträchtigen. Wir plädieren daher dafür, jemanden für diese Aufgabe zu finden, der/die keine enge Verbindungen zu einer dieser Organisationen aufweist, damit in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck entsteht, dass eine Religionsgemeinschaft besondere Lobbyverbindungen in die Fraktion hat.

Walter Otte / 16.10.2013  

Hier das Schreiben im Wortlaut:

Bundesweiter Arbeitskreis Säkulare Grüne

saekulare-gruene.de
sprecherinnenkreis@saekulare-gruene.de
Mariana Pinzón Becht (BaWü)
Gislinde Nauy (HB)
Walter Otte (B)
Rahim Schmidt (RLP)
Diana Siebert (NRW)

Der Bundesweite Arbeitskreis Säkulare Grüne

  Schreiben an alle Bundestagsabgeordneten von BÜNDNIS 90 / Die GRÜNEN   –  per E-Mail

Aufgabenstellung „Religionspolitische/r SprecherIn“  und Besetzung dieser Position

Liebe(r) …..

wir möchten Dir zu Deiner Wahl in den Deutschen Bundestag gratulieren und wünschen Dir und der neuen grünen Bundestagsfraktion für die politische Arbeit in den kommenden vier Jahren viel Erfolg.

Gleichzeitig wenden wir uns aber bereits jetzt in einer wichtigen gesellschaftspolitischen Angelegenheit an Dich:   dem rechtlichen Status von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und dessen in letzter Zeit in einer breiten gesellschaftlichen Diskussion erörterten problematischen Auswirkungen auf verschiedenen Gebieten. Grund-  und Bürgerrechte vieler Menschen sind in diesem Zusammenhang betroffen.

Auch Bündnis90/DIE GRÜNEN haben sich vorgenommen, mit einer BuVo-Kommission zu Religionen, Weltanschauungen und Staat sich der Neuordnung des Religionsverfassungsrechts ergebnisoffen zu widmen. Wir hoffen, dass die Fraktion diesen Prozess konstruktiv begleitet und möchten Dir deshalb ein paar Überlegungen hinsichtlich der Position des/der „Religionspolitischen Sprecher*in“ vortragen. In Anbetracht der gesellschaftlichen Veränderung und steigenden Relevanz der Thematik in der gesamten bundesrepublikanischen Gesellschaft.

Wir halten es für geboten, die Konzeptualisierung dieser Sprecherfunktion auf den Prüfstand zu stellen und zu einer Neuorientierung zu kommen. Ebenso sollte die Referatsstelle in der Fraktion zum Beispiel mit religionswissenschaftlicher oder religionssoziologischer Fachkompetenz ausgestattet werden. Die Einrichtung einer solchen Referatsstelle ist angesichts der gesellschaftspolitischen Bedeutung des Themas in der jetzigen Legislaturperiode besonders wichtig.

Eine Ausrichtung auf die christlichen Großkirchen reicht nicht mehr aus. Es genügt auch nicht, nur den bloßen Kontakt zu Religionsgemeinschaften zu suchen, es geht vielmehr auch darum, im Kontakt mit Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften einerseits, aber andererseits auch im Kontakt mit religionsfreien Bürger*innen, grüne Positionen des „Religionsverfassungsrechts“ zu erörtern und zu vermitteln, aber auch, wenn möglich, politisch zusammenzuarbeiten. Auch sollten die Belange religionsfreier Menschen von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN  ab sofort deutlicher wahrgenommen und eine politische Kommunikation mit ihnen aufgebaut werden. Denn die Zahl der Konfessionsfreien in Deutschland ist ja so groß wie die der Mitglieder der katholischen oder evangelischen Kirche.

Diese erweiterte Aufgabenstellung sollte sich auch in der Person der Religionspolitische Sprecher*in zeigen. Wir meinen: Ob jemand persönlich religiös ist oder nicht oder einer Weltanschauungsgemeinschaft angehört, sollte für die Besetzung dieser Position bedeutungslos sein; wichtiger erachten wir ein Reflexionsvermögen hinsichtlich der Bedeutung der aktuellen Aufgaben im Themenkreis „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“ und ein sachlich-neutrales Verhältnis zu den unterschiedlichen, teils gegensätzlichen Akteuren in diesem wichtigen Politikfeld.

Eine Anbindung des/der von der Bundestagsfraktion zu wählenden Sprecher*in an eine Organisation, die auf dem Feld der Religionspolitik Akteur ist, die über eine bloße Mitgliedschaft hinausgeht und mit Positionen innerhalb der jeweiligen Organisation verbunden ist, würde die Wirkungsmöglichkeiten gegenüber sämtlichen anderen Akteuren auf diesem Feld in den nächsten Jahren beeinträchtigen. Wir plädieren daher dafür, jemanden für diese Aufgabe zu finden, der/die keine enge Verbindungen zu einer dieser Organisationen aufweist, damit in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck entsteht, dass eine Religionsgemeinschaft besondere Lobbyverbindungen in die Fraktion hat.  

BuVo-Kommission „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“*

Dass es hierbei nicht um Nebensächliches geht, wurde uns allen im Januar dieses Jahres mit dem Skandal um die Kölner Kliniken eindringlich vor Augen geführt; und:  MitarbeiterInnen katholischer Einrichtungen wurden und werden aufgrund ihrer Lebensentwürfe, die von denen der kirchlichen Lehre abweichen, entlassen. Derartige Vorkommnisse, aber auch die Informationen über die Einschränkungen der kollektiven Arbeitnehmer*innenrechte der mehr als eine Million in kirchlichen Einrichtungen Beschäftigten haben die bundesrepublikanische Öffentlichkeit dafür sensibilisiert, dass es so nicht weitergehen kann. Die genannten Beispiele aus dem Bereich des Arbeitsrechts sind zudem nur Beispiele für die vielfältigen Problembereiche  im Zusammenhang mit den seit dem Jahr 1919 über die Weimarer Reichsverfassung bis heute unverändert gültigen kirchlichen Privilegien.

Im  Grünen Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2013 sind bereits  wichtige Punkte für die neue Legislaturperiode erwähnt, darunter das individuelle und kollektive Arbeitsrecht in kirchlichen Einrichtungen, die Initiative zur Ablösung der historischen Staatsleistungen an die beiden christlichen Großkirchen.

In der jetzt begonnenen Legislaturperiode des Deutschen Bundestages wird eine überzeugende politische Initiative erforderlich sein, um das Programm umzusetzen. Durch die gegenwärtigen Regelungen des „Religionsverfassungsrechts“ werden Bürger- und Freiheitsrechte nicht weniger Bürger*innen in unzulässiger Weise eingeschränkt. Hier gilt es, klare Signale zu senden: Bündnis 90 / DIE GRÜNEN stehen in jedem gesellschaftlichen Bereich für Menschen- und Grundrechteverwirklichung.

Es geht dabei nicht um eine billige Polemik gegen kirchliche Einrichtungen. Die Beschäftigten bei Caritas und Diakonie leisten eine gesellschaftlich außerordentlich bedeutsame Tätigkeit für Kranke und Pflegebedürftige. Aber dies tun die Beschäftigten bei AWO, DRK, Volkssolidarität und zahlreicher anderer kleiner nichtkirchlicher Organisationen genauso. Warum also rechtlich mit zweierlei Maß messen?

In den nächsten Wochen wird der Bundesvorstand eine Kommission „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“* einrichten, um ein umfassendes Konzept zur Reform des Verhältnisses von Staat, Kirchen und Weltanschauungen zu erarbeiten. Auch im Rahmen der von der Kommission zu organisierenden Grundsatzdebatte wird die Bundestagsfraktion keine unwichtige Rolle spielen, sondern wesentlich in die Öffentlichkeit hinein wirken.

Die in dieser Legislaturperiode anzupackenden Probleme auf dem Gebiet des „Religionsverfassungsrechts“ sind umfangreich und vielfältig.  Mit der Einrichtung der Kommission wird von der Partei ein erstes Zeichen gesetzt werden, das die Fraktion mit der Bestellung der Sprecher*innenposition aufgreifen sollte.

Damit würde Bündnis 90 / DIE GRÜNEN öffentlich zeigen, dass die Partei sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt hat – und zwar nicht als Verbots-, sondern als Grundrechte- und  Freiheitspartei.

Bündnis 90 / DIE GRÜNEN sind eine Partei, die für den Schutz und die weitere Entwicklung von Grund- und Freiheitsrechten steht.

Das Zusammenwirken Aller in Partei und Fraktion ist von wesentlicher Bedeutung für die Verwirklichung dieser Zielsetzung.

10. Oktober 2013

Die SprecherInnen des Bundesweiten Arbeitskreises Säkulare Grüne

Mariana Pinzón Becht * Gislinde Nauy * Walter Otte * Rahim Schmidt * Diana Siebert

*

Beschluss des Bundesvorstandes vom 22.04.2013:

Der Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen wird nach der Bundestagswahl 2013 eine Kommission zum Thema „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“ einrichten, um unter anderem über Themen, wie Staatsleistungen, Religionsunterricht, Beschneidung, Gleichstellung der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften sowie anderer Weltanschauungen und die Trennung von Religionsgemeinschaften und Staat zu debattieren. Ziel ist es einen Kommissionsbericht bis Ende 2014 vorzulegen, die innerparteiliche Debatte aufzugreifen und dieses Thema anschließend auf einer BDK zu beraten“

Mit grünen Grüßen

 

Walter Otte