Säkulare Grüne fordern die sofortige Abschaffung des § 166 StGB

Die 6. Vollversammlung des Bundesweiten Arbeitskreises Säkulare Grüne vom 28.02. bis zum 01.03.2015 in Erfurt hat einstimmig einen Beschluss gefasst, mit dem die sofortige ersatzlose Streichung des sogenannten „Blasphemieparagraphen“ gefordert wird.

Anlässlich der feigen Mordanschläge von Paris und Koppenhagen halten es die Säkularen Grünen für dringend geboten, durch ein eindeutiges Signal an die Terroristen und Feinde einer freien Gesellschaft ohne Wenn und Aber klarzustellen, dass Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Kunstfreiheit von grundlegender Bedeutung für die moderne säkulare und demokratische Gesellschaft sind und weder verhandelbar noch abpressbar sind. Diese Haltung soll allen diejenigen gegenüber zum Ausdruck gebracht werden, die bis hin zur Ermordung von Menschen und Terroranschlägen mit allen Mitteln die freiheitliche Gesellschaft angreifen und dieser ihr totalitäres Weltbild aufzwingen wollen.

In dem Beschluss heißt es u.a., in der Praxis habe der § 166 StGB „zu einer Verkehrung des Täter-Opfer-Verhältnisses geführt. Denn der – nirgends bedrohte – ‚öffentliche Friede‘ wurde niemals durch kritische Kunst bedroht, sondern durch religiöse politische Fanatiker, die nicht in der Lage waren, die künstlerische Infragestellung ihrer Weltanschauung rational zu verarbeiten.“

Im Beschluss wird weiter erwähnt, dass mit „einer ersatzlosen Streichung des § 166 StGB „der Gesetzgeber unmissverständlich klarstellen (wür-de), dass der Freiheit der Kunst in einer modernen offenen Gesellschaft höheres Gewicht beizumessen ist als den „verletzten Gefühlen“ religiöser Fundamentalisten.“

Der Beschluss wendet sich an Bündnis 90/Die Grünen, sich für eine entsprechenden Initiative im Deutschen Bundestag und an die Grünen auf Europaebene, sich für eine Abschaffung von Blasphemieparagraphen in allen Ländern der Europäischen Union einzusetzen.

Der Beschluss lautet im Wortlaut wie folgt:

Streichung des § 166 Strafgesetzbuch (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen)

1. Der Deutsche Bundestag möge beschließen, dass die Strafvorschrift über Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen (§166 StGB) ersatzlos gestrichen wird.
2. Wir fordern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die GRÜNE Fraktion im Bun-destag auf, hierzu umgehend die nötigen Schritte zu unternehmen.

Begründung
Nach § 166 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Gruppierungen wie Parteien, Gewerkschaften oder gesellschaftlichen Vereinen wird den Religions- und Weltanschauungs-gemeinschaften über § 166 StGB damit ein über die allgemeinen Bestimmungen – wie Beleidigung und Verleumdung – hinausgehender Schutz zuteil. Die Vorschrift dient nicht dem sozialen Frieden. Der Grundsatz, dass Strafrecht ultima ratio bei der Bewältigung gesellschaftlicher Konflikte bleiben muss, wird nicht berücksichtigt.

Der geltende Tatbestand ist nicht in der Lage, Verletzungen der Meinungs- und Kunstfreiheit zu unterbinden. Zwar soll die Tathandlung des „Beschimpfens“ nur jene herabsetzenden Äußerungen umfassen, die durch Form und Inhalt eine besonders verletzende Äußerung der Missachtung zum Ausdruck bringen. Auch muss die Beschimpfung geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. Dies soll indes bereits bei einer bloß abstrakten Gefährlichkeit der Tathandlung vorliegen. Letztlich bleibt jede Auslegung der Vorschrift geprägt von der religiösen Überzeugung und Toleranz derer, die sich angegriffen fühlen, und derer, die die Äußerungen hinsichtlich ihres objektiven Aussagegehalts bewerten sollen.

Dies hat in der Praxis hat dieser Paragraph zu einer Verkehrung des Täter-Opfer-Verhältnisses geführt. Denn der – nirgends definierte – „öffentliche Frie-de“ wurde niemals durch kritische Kunst bedroht, sondern durch religiöse oder politische Fanatiker, die nicht in der Lage waren, die künstlerische Infragestellung ihrer Weltanschauung rational zu verarbeiten.

Während aufgeklärte Gläubige keine Probleme mit satirischer Kunst haben und somit einen besonderen Glaubensschutz gar nicht benötigen, berufen sich gerade religiöse Fundamentalisten und Extremisten seit Jahrzehnten immer wieder auf § 166 StGB, um die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit einzuschränken. Die hier zum Vorschein kommende Kritikunfähigkeit sollte vom Gesetzgeber nicht zusätzlich befördert werden. Borniertheit, Intoleranz und Humorlosigkeit sind keine Rechtsgüter, die unter Schutz gestellt werden sollten.

Zwar fallen die Verfahren wegen Straftaten, die sich auf Verunglimpfung von Religion und Weltanschauung beziehen, gegenüber der allgemeinen Kriminalität kaum ins Gewicht. Die negativen Auswirkungen des § 166 StGB lassen sich indes nicht allein an der Zahl der tatsächlichen Verurteilungen messen. Genug Anlass für eine Abschaffung der Vorschrift ist vielmehr bereits die Furcht vor gesellschaftlicher Stimmungsmache gegen Menschen, die ihre Grundrechte ihre Grundrechte wahrnehmen, und gar vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit all seinen Konsequenzen, die Menschen von der Wahrnehmung ihrer verfassungsgemäß garantierten Rechte abhält. So fördert §166 StGB erfolgreich Selbstzensur.

Nicht zuletzt wäre die überfällige Abschaffung des „mittelalterlichen Diktaturparagraphen“ (Kurt Tucholsky) auch eine angemessene rechtsstaatliche Reaktion auf die Einschüchterungsversuche militanter Islamisten („Karikaturenstreit“ von 2006, Attentat auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ vom Januar 2015). Denn mit einer ersatzlosen Streichung von § 166 StGB würde der Gesetzgeber unmissverständlich klarstellen, dass der Freiheit der Kunst in einer modernen offenen Gesellschaft höheres Gewicht beizumessen ist als den „verletzten Gefühlen“ religiöser Fundamentalisten.

UN

Mit der Streichung von § 166 StGB käme der deutsche Staat auch einer wichtigen
Forderung des UN-Menschenrechtskomitees nach. Dieses erklärte nämlich 2011, dass „Verbote von Darstellungen mangelnden Respekts vor einer Religion oder anderen Glaubenssystemen, einschließlich Blasphemiegesetzen, mit dem Vertrag [gemeint ist der „Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte“, ICCPR] inkompatibel“ seien [Human Rights Committee: General comment No. 34, CCPR/C/GC/34, §48].

Europarat

Auch die Venedig-Kommission des Europarats hat es „weder für notwendig noch für wünschenswert erachtet, einen Straftatbestand der einfachen religiösen Beleidigung (also der Beleidigung religiöser Gefühle) ohne das Element der Aufstachelung zu Hass als einer wesentlichen Komponente zu schaffen“. Nach ihrer Auffassung sollte der Straftatbestand der Blasphemie abgeschafft, zumindest jedoch nicht wieder eingeführt werden“.