Urteil zum Berliner Neutralitätsgesetz – Bundesarbeitsgericht beschädigt staatliche Neutralität

Am 27. August hat das Bundesarbeitsgericht geurteilt, dass Lehrer*innen das Tragen religiöser Symbole während des Schulunterrichts nicht generell untersagt werden darf, sondern nur in dem Fall, dass eine konkrete Gefahr vorliegt. Eine solche Gefahr ist nur dann gegeben, wenn an der Schule bereits Unfrieden aus religiösen Gründen herrscht. Ein Einschreiten ist somit erst dann möglich, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Dieses Urteil beschädigt die staatliche Neutralität im Schulwesen und ist geeignet, Schaden für die betroffenen Schüler*innen hervorzurufen.

Die LAG Säkulare Grüne Berlin kritisiert das BAG-Urteil als ein falsches Signal in einer Zeit zunehmender religiöser Konflikte in Schulen, als eine Einladung, religiöse Symbole als Lehrkraft in der Schule zu zeigen und als Einschränkung des Grundsatzes der staatlichen Neutralität ohne jeglichen zwingenden Grund.

Es sollte unbedingt seitens der Senatsschulverwaltung eine Klärung auf der Ebene des Europäischen Gerichtshofes unternommen werden.

Das Urteil ist nur ein Zwischenstand in der Auseinandersetzung über religiöse Symbole im öffentlichen Dienst. Ein Grund zur Änderung des Neutralitätsgesetzes in Berlin besteht nicht – es ist in vollem Umfang weiter gültig -, da es von keiner Gerichtsinstanz für verfassungswidrig erklärt worden ist.

Völlig unbeeinflusst von der Enscheidung des Bundesarbeitsgerichts sind diejenigen Teile des Gesetzes, die sich mit anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes befassen.

Damit ist klar, dass es in der Berliner Politik zu heftigen Auseinandersetzungen kommen wird, falls es unternommen werden sollte, das Gesetz einzuschränken oder gar abzuschaffen.

Klar ist, dass es der Einführung einiger Regularien bei der Einstellung solcher Bewerber*innen , die auch während des Schulunterrichts ihre jeweiligen religiösen Symbole monstranzhaft zeigen wollen, bedarf. Dies ist notwendig, um die staatliche Neutralität zu sichern und um Schaden von den Schüler*innen abzuwenden.

Religionsdemonstration hat in der Schule nichts zu suchen.

Die LAG Säkulare Grüne Berlin unterstützt die Erklärung der Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz vom 28.08.2020:

Erklärung der Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz:

Gestern hat das Bundesarbeitsgericht in dritter und letzter Instanz geurteilt, dass das im Berliner Neutralitätsgesetz enthaltene Verbot des Zeigens religiöser Symbole im Schulbereich zu pauschal und damit diskriminierend ist. Die Sprecher*innen der Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz erklären dazu: Wir hätten uns eine andere Entscheidung gewünscht. Die gestrige Entscheidung des BAG ist außerordentlich bedauerlich. Sie widerspricht dem Gebot der staatlichen Neutralität und der seiner Bediensteten in religiösen Angelegenheiten während ihrer Dienstausübung. Vordergründig geht es um das islamische „Kopftuch“, tatsächlich kann aber nun jede Religionsgemeinschaft ihre religiösen Symbole über Lehrer*innen in die Schule hineintragen. Derartige Symbole senden immer Botschaften aus und wirken beeinflussend auf die Schüler*innen. Dies alles dient nicht dem Schulfrieden. Das Bundesarbeitsgericht ist der unzutreffenden Argumentation des Landesarbeitsgerichts Berlin/Brandenburg gefolgt, wonach das Berliner Neutralitätsgesetz insoweit verfassungswidrig ist, als es für den Schulbereich eine sog. abstrakte Gefahr regele. Die vom Gericht angebotene Variante einer „verfassungskonformen Auslegung“ des Gesetzes dahin, dass immer eine sog. konkrete (bereits eingetretene oder unmittelbar bevorstehende) Gefahr erforderlich sei, um ein Verbot des Tragens religiös konnotierter Bekleidung zu rechtfertigen, geht an der Sache vorbei. Wenn die Gefahr konkret eingetreten ist, ist es bereits zu spät und der Schulfriede gestört. Festzuhalten ist: das Bundesarbeitsgericht hält das Berliner Neutralitätsgesetz keineswegs für generell verfassungswidrig. Deshalb braucht es auch nicht geändert werden! Das Urteil betrifft nicht die weiteren vom Neutralitätsgesetz geregelten Bereiche wie etwa Justiz, Strafvollzug, Polizei. Dazu liegen auch bereits höchstgerichtliche Urteile vor, die die Bedeutung der staatlichen Neutralität hervorheben und dagegen das Interesse einzelner zurücktreten lassen, seine religiösen Symbole bei der Erfüllung von Dienstaufgaben demonstrativ zu zeigen. Umso erschreckender, dass der sensible Schulbereich künftig von diesem Neutralitätsanspruch ausgenommen werden soll. Die Initiative begrüßt die Ankündigung der Senatsschulverwaltung, eine Prüfung vorzunehmen, ob für das Land Berlin gegen das BAG-Urteil der Weg zum EuGH möglich ist. Die Initiative wird sich ausführlich zu dem gestrigen Urteil des BAG äußern, sobald die Einzelheiten dazu bekannt und die entscheidenden Begründungsstränge deutlich geworden sind.

Berlin, den 28.08.2020

Für die Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz

Walter Otte, Michael Hammerbacher, Ulla Widmer-Rockstroh