Aufgeklärtes Christentum vs. Islam? – Das Weltbild einer Frauke Petry

Übernommen von hpd.de

Jürgen-Roth

Jürgen Roth, Sprecher der LAG Säkulare Grüne, Berlin

BERLIN. (hpd) In Ihrem Streitgespräch mit Volker Beck (Grüne) am 22. Februar machte die AfD-Domina Frauke Petry eine eher beiläufige Bemerkung, der wir einmal auf den Grund gehen sollten. Sie sprach von „Problemen zwischen Islam und christlich-aufgeklärter Gesellschaft“. Mit diesem Begriffsbild bringt sie einen – rechten – Konsens auf den Punkt, der den Widerstand gegen jede Zuwanderung aus islamisch geprägten Ländern rechtfertigen soll. Die Aussage besteht aus zwei Teilen: einmal aus der Stigmatisierung des Islam und zum anderen auf der Verknüpfung der kulturellen Identität Europas mit dem christlichen Glauben. Es lohnt sich, beide Teile der Aussage unter die Lupe zu nehmen.

Auch hier im hpd ist die Frage der Integrationsfähigkeit des Islam in Deutschland vielfach thematisiert worden; das gilt für die gesellschaftliche Debatte insgesamt. Das Misstrauen ist groß und Ansätze zur seiner Überwindung stehen auf eher schwachen Füßen. Dabei greift es zu kurz, wenn reflexhaft jeder Kritik der Vorwurf des Rassismus entgegengehalten wird. Der Islam selbst bietet durchaus Angriffsflächen; eines seiner Probleme in Deutschland ist dessen Verbandsstruktur. So haben kurz vor der Bundesdelegiertenkonferenz (dem Parteitag von B90/Die Grünen) in Halle vom 20. bis 22. November 2015 der Grüne Bundesvorsitzende Cem Özdemir und Volker Beck (Religionspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion) sich gegen die konservativ-orthodoxen Islamverbänden (DITIB, Islamrat, Verband der islamischen Kulturzentren und Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) geäußert. In der Tat erfüllen diese Verbände gegenwärtig nicht die institutionellen Voraussetzungen als Religionsgemeinschaften und für die Anerkennung als Körperschaften.

Die berechtigte Kritik an diesen vier Verbänden darf aber nicht den Blick auf die durchaus vorhandene Dynamik der innerislamischen Reformdebatte verstellen. Es gibt hier ernsthafte Reformansätze im Rahmen der islamischen Theologie. Statt alle Muslime unter Generalverdacht zu stellen, sollten gerade Säkulare besser das Gespräch mit dem aufgeklärten Islam suchen und dessen Stellung in der öffentlichen Debatte stärken. In der politischen Auseinandersetzung müssen wir als Säkulare darauf hinwirken, die aus falsch verstandener Multikulturalität entstande Privilegierung der konservativen Verbände endlich zu beenden.

Ein Professor, der in seinen Lehrveranstaltungen die Bearbeitung des Koran mit der historisch-kritischen Methode betreibt, leistet für die Integration des Islam eine unverzichtbare Arbeit. Ihn bei dieser Arbeit zu unterstützen und gegen Angriffe religiöser Eiferer zu schützen bringt mehr, als beständige Äußerungen des Misstrauens, die nur zur Schwächung reformbereiter Kräfte innerhalb des Islam führen. Gerade die Besetzung islamischer Lehrstühle an den deutschen Hochschulen ist eine wichtige Herausforderung. Angesagt ist hier, mit diesen liberalen islamischen Kräften gemeinsam zu verhindern, dass konservative Verbände die halbstaatlichen Stellung der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts in Anspruch nehmen und sich auf diese Weise das letzte Wort bei der Bestellung der Hochschullehrer und der Begleitung ihrer Arbeit sichern. Hier ist falsch verstanden Multikulturalität fehl am Platze.

Das von Frau Petry gewählte – und in weiten Kreisen von Kirchen und Politik mehr oder weniger konsensfähige – Bild ist jedoch nicht nur hinsichtlich der pauschalen Stigmatisierung „des“ Islam falsch, sondern auch bei der Bewertung des Christentums als Stütze der Aufklärung.

Der westlichen Demokratie das Etikett des aufgeklärten Christentums aufzukleben, blendet Geschichte und Gegenwart gleichermaßen aus und ersetzt sie durch eine ideologisch verschleierte Weltsicht weitab jeder Realität.

Das Christentum hat die Aufklärung nicht bewirkt. Aufklärung musste sich vielmehr erst über Jahrhunderte mühsam und unter großen Opfern gegen das Christentum durchsetzen. Erst mit großer Verzögerung konnten sich zumindest ein Teil der christlichen Kirchen in Europa, teils aus Opportunismus, teils auch durch eigene Reflexion dazu durchringen, den offenen Kampf gegen die Aufklärung als Ganze zu beenden und beispielsweise die Menschenrechte anzuerkennen. Wie halbherzig und fragil dieser Prozess indes nach wie vor abläuft, sehen wir gerade auch an der Haltung des katholischen Klerus zum Schwangerschaftsabbruch in Polen, Spanien und Irland. Auch wenn es um die Gleichstellung schwuler oder lesbischer Paare geht, ist es mit dem viel gelobten Bündnis bei der Hilfe für Geflüchtete und sozial Benachteiligte schnell vorbei.

Es ist ebenso unhistorisch wie gesellschaftspolitisch verfehlt, die Identität unserer vielgestaltigen Gesellschaft auf eine Religion bzw. eine Kirche begründen zu wollen. Frau Petry scheint bei ihrer eifrigen Suche nach einfachen Antworten entgangen zu sein, dass wir in Zeiten einer wachsenden religiösen und weltanschaulichen Vielfalt leben. Bilder, die an den Sieg von Karl Martell gegen die muslimischen Araber und die Türken vor Wien erinnern sollen, sind aber leider nicht nur bei der AfD, sondern auch in anderen Parteien beliebt. Das macht es nicht besser, sondern vielmehr noch gefährlicher. Umso wichtiger ist es, diesem Bild offen und klar zu widersprechen und sich nicht von scheinbaren Selbstverständlichkeiten wie der christlichen Identität des Abendlands vs. Islam übertölpeln zu lassen.

Säkulare sollten in dieser gesellschaftlichen Debatte jeder Versuchung widerstehen, ihre kritische Distanz zu den Kirchen in den Rang eines gesellschaftspolitischen Dogmas zu erheben und unreflektiert alle Menschen, die religiös denken, gering zu schätzen oder gar zu verdammen. Sie stellen sich damit nur auf die gleiche Stufe religiöser Fundamentalisten, die nur Freunde oder Feinde kennen. Auch ohne Religionen wird die Welt nicht automatisch besser, außer wir tun alles, damit sie tatsächlich besser wird.

Säkulare als Dienerinnen und Diener der Aufklärung haben vielmehr die Verantwortung, ungerechtfertigte Privilegien zur Verfestigung strukturkonservativer Kirchendominanz zu hinterfragen und zugleich jene Toleranz vorzuleben, die allein Grundlage einer Gesellschaft der Vielfalt sein kann.