Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen beschließt säkularen Dringlichkeitsantrag zur „Förderung der Akzeptanz sexueller Vielfalt schon in der Schule“
Am 9. Februar hat die 37. ordentliche BDK von BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN in Dresden mit überwältigender Mehrheit bei nur wenigen Gegenstimmen dem säkularen Antrag zur Stützung des schulpolitischen Kurses der grün-roten Koalition in Baden-Württemberg zugestimmt.
Der Antrag „Akzeptanz sexueller Vielfalt schon in der Schule fördern – Entschlossen gegen diskriminierende Vorurteile vorgehen!“ wurde ohne Gegenrede beschlossen; Gegen- oder Abänderungsanträge gab es nicht.
Deutlich verurteilt wird die aus evangelikalen und rechtspopulistischen Kreisen initiierte Kampagne, die eine Aufklärung gegen dumpfe Vorurteile durch schlichte Darlegung der Realität schon im Kindesalter verhindern will und die keine Sachargumente wohl aber viel Diffamierendes zu verbreiten wusste.
„Wer der baden-württembergischen Landesregierung das Vorhaben einer „sexuellen Umerziehung unterstellt, redet vorsätzlich den gesellschaftlichen Unfrieden herbei.“ heißt es in dem zum BDK-Beschluss gewordenen Antrag.
Der Beschluss fordert die großen christlichen Kirchen auf, sich unmissverständlich von der homophoben Kampagne zu distanzieren, deren Intention sie sich mit ihren Äusserungen gegen das Bildungsvorhaben angeschlossen haben. Ausdrücklich wird hervorgehoben, dass nach wie vor innerkirchliche Reformkräfte nicht in der Lage sind, reaktionäre Tendenzen innerhalb der Kirchen in ihre Schranken zu verweisen. Als von entscheidender Bedeutung sieht BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN daher an, dass die „zuständigen staatlichen Stellen des Bundes, der Länder und der Kommunen … von sich aus sämtliche Versuche in die Schranken weisen, den Zusammenhalt der Gesellschaft durch Diffamierung und Ausgrenzung von Minderheiten zu untergraben.“
Erfreulich ist, dass der säkulare Antrag innerhalb von 48 Stunden von mehr als einhundert Grünen unterzeichnet worden ist, darunter von der Bundestagsabgeordneten und grünen Kinderpolitikerin Katja Dörner, dem NRW-Landesvorsitzende Sven Lehmann, dem Vorstandsmitglied der Alevitischen Gemeinde in Berlin, Kadir Sahin, mehreren Landtagsabgeordneten und von AktivistInnen aus den grünen Queer- , Lesben- und Schwulenpolitik- Arbeitsgemeinschaften.
Federführend vorbereitet worden war der Antrag von den beiden SprecherInnen des AK Säkulare Grüne Berlin Gudrun Pannier und Jürgen Roth sowie den BundessprecherInnen Mariana Pinzón Becht und Walter Otte.
Der SprecherInnenKreis des Bundesweiten Arbeitskreises Säkulare Grüne hat sich äußerst zufrieden über den Erfolg der Initiative gezeigt und bedankt sich bei allen, die zu diesem Erfolg beigetragen haben.
Im Folgenden veröffentlichen wir den auf der BDK beschlossenen Antrag:
37. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
07. – 09. Februar 2014, Dresden, Messegelände
V-11 Verschiedenes
AntragsstellerIn: Gudrun Pannier (KV Tempelhof-Schöneberg) u.a.
Weitere AntragstellerInnen: Jürgen Roth (KV Tempelhof-Schöneberg); Mariana Pinzón Becht (KV Heidelberg); Dr. Dr. Rahim Schmidt (KV Mainz) ; Gislinde Nauy (KV Osnabrück) ; Walter Otte (KV Friedrichshain-Kreuzberg) ; Dr. Diana Siebert (KV Köln); Katja Dörner (KV Bonn) ; Sven Lehmann (KV Köln) ; Anja Kofbinger (KV Neukölln); Kadir Sahin (KV Neukölln) ; Thomas Birk (KV Tempelhof-Schöneberg) ; Stefan Boltz (LAG Queergrün/Berlin) ; Uli Reichhardt (LAG QueerGrün/KV Kreisfrei Berlin) ; Dana Kühnau (KV München-Stadt) ; Ingo Heise (KV Main-Taunus); Rainer Jehle (KV Tempelhof-Schöneberg) ; Natascha Werning (KV Mannheim) ; Ute Wellstein (KV Mainz); Dr. Joachim Grebe (KV Darmstadt) u.a.
Dringlichkeitsantrag: Akzeptanz sexueller Vielfalt schon in der Schule fördern – Entschlossen gegen diskriminierende Vorurteile vorgehen!
Bündnis 90/Die Grünen verurteilt die von evangelikalen und rechtspopulistischen Kreisen initiierte Kampagne „Zukunft – Verantwortung – Lernen: Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“ gegen die Bildungsplanung des Landes Baden-Württemberg.
Bündnis 90/Die Grünen unterstützt die Position der grün-roten Landesregierung unter Leitung von Winfried Kretschmann, das gesellschaftliche Miteinander durch mehr Akzeptanz sexueller Vielfalt zu fördern. Die Verankerung der Gleichwertigkeit aller Menschen im Bildungsplan, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, geschlechtlichen Identität oder ihren Lebensentwürfen ist ein wichtiger und konsequenter Schritt hin zu einer offenen und vielfältigen Gesellschaft. Bei den Schüler*innen muss das Bewusstsein gestärkt – oder sogar erst geschaffen – werden, wonach lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, transsexuelle, intersexuelle und queere (LSBTTIQ) Menschen nicht „abnormal“ oder „abscheulich“ oder „anthropologisch minderwertig“, sondern wie alle Menschen gleichwertig und gleichberechtigt sind.
Wir halten daran fest, dass es die Aufgabe einer verantwortlichen Politik ist, hinsichtlich der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität von Menschen, althergebrachten dumpfen Vorurteilen durch intensive Aufklärung entgegenzutreten.
Diese Aufklärung muss bereits im Schulkindalter beginnen, um der Herausbildung und Verfestigung von Vorurteilen und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gegenüber nicht-heterosexuellen Minderheiten bei den heranwachsenden Generationen rechtzeitig entgegenzuwirken.
Wir bestärken die grün-rote Landesregierung Baden-Württembergs darin, an ihrem eingeschlagenen Kurs der gesellschaftspolitischen Modernisierung festzuhalten. Wir treten dafür ein, dass auch die anderen Bundesländer sich an diesem Vorbild orientieren und entsprechende Ziele in ihre Bildungsplanung aufnehmen, sofern das noch nicht geschehen ist.
Wir verurteilen, dass evangelikal-konservative Kreise gemeinsam mit rechtspopulistischen Kräften massiv Front machen gegen das Vorhaben der grün-roten Landesregierung, an den Schulen ein Klima der Offenheit, des Respekts und der Akzeptanz im Kontext einer vielfältigen Gesellschaft zu stärken.
Die Betreiber der Petition leisten einen bildungspolitischen Offenbarungseid mit ihrer Forderung, Kinder und Jugendliche dürften bei ihrer Suche nach sexueller Identität nicht durch eine Vermittlung von Werten wie Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen Lebensformen in den Schulen „beeinflusst“ werden. Sie offenbaren damit ein erschreckendes Verlangen, Jahrzehnte gesellschaftlicher Öffnung und Reform wieder zurückzudrehen.
Die Kampagne befördert auf hetzerische Weise sogar – gezielt kalkuliert – Vorurteile gegen Minderheiten, die gerade dabei sind, ihre letzten juristischen Fesseln zu sprengen.
Wer der baden-württembergischen Landesregierung das Vorhaben einer „sexuellen Umerziehung“ unterstellt, redet vorsätzlich den gesellschaftlichen Unfrieden herbei.
Wir können nicht nachvollziehen, dass auch die beiden evangelischen Landeskirchen und die katholische Kirche in Baden-Württemberg sich den Unterstellungen dieser Kampagne, die Regierung betreibe „Ideologisierung und Indoktrination“, mit der Wortwahl ihrer Pressemitteilung anschließen. Wir fordern die beiden großen christlichen Kirchen auf, sich unmissverständlich von dieser Initiative zu distanzieren.
Die Kampagne gegen die Bildungspolitik der Landesregierung lässt schmerzlich erkennen, dass die innerkirchlichen Reformkräfte vielerorts noch nicht stark genug sind, derart reaktionäre Entgleisungen zu unterbinden.
Wir erwarten daher von allen zuständigen staatlichen Stellen des Bundes, der Länder und der Kommunen, dass sie von sich aus sämtliche Versuche in die Schranken weisen, den Zusammenhalt der Gesellschaft durch Diffamierung und Ausgrenzung von Minderheiten zu untergraben.
Bündnis 90/Die Grünen erteilt allen Bestrebungen – national und international – eine unmissverständliche Absage, die das Recht der Menschen auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit – einschließlich ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlicher Identität mit falschen Behauptungen und böswilligen Kampagnen in Misskredit zu bringen versuchen. Der Staat hat dem gegenüber die Pflicht, gesellschaftliche Vielfalt von unterschiedlichen Orientierungen und Lebensentwürfen zu gewährleisten; dabei sollte er die Anbindung seiner Tätigkeit an ein Denken von gestern und vorgestern überwinden.