Wer sind die Säkularen Grünen?
Bundesweiter Arbeitskreis Säkulare Grüne
Unser Selbstverständnis
In der Bundesrepublik Deutschland leben immer mehr Menschen, für die religiöse Bezüge nicht mehr relevant sind. Konfessionslose Menschen finden in dieser Gesellschaft gleichermaßen ihren Platz, sie machen mittlerweile numerisch die größte gesellschaftliche Gruppe aus, sogar vor den in unterschiedlichen religiösen Organisationen zusammengeschlossenen Menschen.
Humanistische Weltanschauungsgemeinschaften jenseits sämtlicher bisheriger Religionsgemeinschaften sind im Vordringen. Auch die Menschen, die sich einer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft zugehörig fühlen, diversifizieren sich. Die Zahl derjenigen, die sich von den traditionellen christlichen Religionsgemeinschaften abwenden, hat erheblich zugenommen; muslimische, alevitische, buddhistische und andere nichtchristliche Religionsgemeinschaften sind Bestandteil der Lebenswirklichkeit unserer Gesellschaft geworden. Jüdisches Leben hat in Deutschland – nach seiner Auslöschung durch die Nazibarbarei – wieder seinen Platz gefunden.
Dieser aktuelle Befund gibt Anlass dazu, die Grundregeln des gesellschaftlichen und politischen Lebens in Deutschland zu überdenken und sie dort, wo es im Interesse des gesellschaftlichen Miteinanders geboten ist, zu ändern. Er gibt auch Anlass dazu, die Diskriminierung von konfessionsfreien Menschen, von Religionsgemeinschaften außerhalb der traditionellen in Deutschland vorhandenen christlichen Großreligionen und von nichtreligiösen Weltanschauungen einschließlich rational begründeter Religionskritik zu beenden. Diejenigen Verfassungsregelungen, die Privilegien von Glaubensgemeinschaften ermöglichen, sollen langfristig gestrichen werden.
Wir säkulare Grüne möchten deswegen über das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften neu nachdenken und die im Grundsatzprogramm von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN formulierte „Trennung von Staat und Kirche“ weiter voranbringen. Der gegenwärtige Zustand ist in vielfältiger Weise vorwiegend durch den Einfluss der beiden großen christlichen Kirchen auf das öffentliche Leben gekennzeichnet, was sich u.a. in Formulierungen im Grundgesetz, in Lehrplänen, im besonderen Arbeitsrecht in Betrieben kirchlicher Trägerschaft und in der Darstellung christlicher Symbole, beispielsweise in Gerichtssälen, zeigt.
Dies entspricht nicht den Anforderungen an einen säkularen Staat, wie wir ihn verstehen, und ist auch in Anbetracht unserer pluralen Gesellschaft nicht mehr zeitgemäß.
Als säkulare Grüne streben wir eine Gesellschaft an, in der Menschen verschiedener Glaubensrichtungen und Weltanschauungen sowie Konfessionsfreie gleichberechtigt zusammenleben. Niemand soll aufgrund seiner Weltanschauung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion bevorzugt oder diskriminiert werden. Privilegien von Kirchen und Religionsgemeinschaften sollen daher abgeschafft werden. Orientierungspunkt ist die freie Entfaltung der Persönlichkeit in sozialer und ökologischer Verantwortung, also individuelle Selbstbestimmung.
Wir wenden uns mit unserer Arbeit auch direkt an die Gesellschaft und damit auch an die Religionsgemeinschaften – und nicht nur an den Staat. Eine rein gesetzlich durchgesetzte oder gar verordnete Abschaffung von Privilegien von Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen würde zu kurz greifen.
Als GRÜN orientierter Arbeitskreis wollen wir bei Konfessionsfreien wie Religiösen eine an Menschenrechten orientierte Praxis einfordern. Wir fordern daher die Religionsgemeinschaften auf, Traditionen, Praktiken und Rituale, die mit humanistischen Werten, Menschenrechten und demokratischen Selbstverständlichkeiten kollidieren, kritisch zu reflektieren und sich einer öffentlichen Diskussion hierzu nicht zu entziehen. Diejenigen, die diese Reflexion innerhalb der Religionsgemeinschaften voranbringen, sehen wir als unsere Bündnispartner.
Wer wir sind
Die Säkularen Grünen sind überwiegend Mitglieder von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, konfessionsfreie wie religiöse. Im Laufe der letzten Jahre haben sich einige von uns informell getroffen, standen in regem Kommunikationsaustausch über die Aspekte der von uns als unbefriedigend angesehenen Trennung von Staat und Kirchen und wurden auf BDKen mit Anträgen aktiv. Insbesondere die in jüngster Zeit entbrannten Diskussionen um eine Wiederbelebung des Blasphemieparagrafen, Äußerungen von Kardinälen zur Homosexualität, antisäkulare Websites verschiedener religiöser Gruppen, die Debatte um die Einführung islamischen Religionsunterrichts, um Staatsverträge mit Aleviten und islamischen Verbänden, um die Mohammed-Karikaturen sowie das Beschneidungsurteil haben dazu geführt, dass wir die bisher wenig koordinierten Aktivitäten bündeln möchten.
Wir haben uns deshalb diese Plattform gegeben, um die Religionspolitik von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in unserem Sinne mit zu gestalten.
Wir bieten ein Forum für alle Grünen, die sich für diese Ziele einsetzen wollen.
Was wir wollen
Organisatorische Ebene
Wir streben die Anerkennung als BAG an, möchten bei der Gründung von entsprechenden LAGen behilflich sein und werden in Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen unsere Positionen konkretisieren. Wir möchten in Programmkommissionen und anderen mit dem Thema befassten Gremien vertreten sein. Außerdem werden wir durch entsprechende Anträge auf LDKen und BDKen versuchen, unsere Vorstellungen in Grüne Politik einfließen zu lassen. Wir wollen uns auch mit laizistischen und säkularen Strömungen in anderen demokratischen Parteien und mit Verbänden auf diesem Gebiet vernetzen.
Inhaltliche Ebene
Wir möchten ein Programm erarbeiten, das die ökologischen, sozialen, menschenrechtlichen und demokratischen Ziele und Werte unseres Grundsatzprogramms „säkular“ und humanistisch ausbuchstabiert. Hierzu soll der Bundesweite Arbeitskreis Säkulare Grüne ein Diskussionsforum sein, in dem Positionen zu den unterschiedlichen Themenfeldern in der Religionspolitik diskutiert werden können.
Auf dem Weg zu einem Programm
Ausgehend von unserem Ziel wollen wir jene gesellschaftlichen Bereiche kritisch bearbeiten, in denen wir Säkularisierungsbedarf sehen, menschenrechtswidrige Praktiken thematisieren und auf ihre Abschaffung drängen. Für uns ist klar: Grüne stehen hinter der Unteilbarkeit und Unveräußerlichkeit der Menschenrechte und verstehen sich daher als Grundrechtepartei. Eine Förderung von Organisationen, die diese Grundlage nicht teilen, steht für uns außerhalb jeder Diskussion.
Bereiche, in denen wir gegenwärtig unter Anderem Klärungs- und Änderungsbedarf sehen:
- besonderes Arbeitsrecht in Betrieben, die sich in kirchlicher Trägerschaft befinden
- kirchliche Trägerschaft von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen
- die Ignorierung des Verfassungsgebotes zur Ablösung der Staatsleistungen
- Ethik- und/oder Religionskundeunterricht in staatlichen und staatlich geförderten Schulen versus konfessionellem Religionsunterricht
- glaubensgemeinschaftliche Einflussnahme auf Ausbildungs- und Berufungsordnungen für theologische und nicht-theologische Lehrstühle an staatlichen Hochschulen
- die umstrittene Präsenz religiöser Symbole in staatlichen bzw. kommunalen Einrichtungen, sowohl in den Räumen als auch am Körper all jener Personen, zu deren Pflichten es gehört, sich in solchen Einrichtungen in Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben aufzuhalten (inkl. Schülerinnen und Schüler)
- VertreterInnen von Religionsgemeinschaften in Rundfunkräten und deren Überrepräsentation in Ethikräten
- Kirchensteuereinzug über die öffentliche Hand
- Status von Religionsgemeinschaften als Körperschaft des öffentlichen Rechts
- das Reichskonkordat
- die automatische Ernennung des apostolischen Nuntius als Doyen des diplomatischen Korps in Deutschland
- die Einstufung des Heiligen Stuhls als Völkerrechtssubjekt
- die Staatskirchenverträge und Staatsverträge mit muslimischen und anderen Religionsverbänden
- „Ehrfurcht vor Gott“ als staatliches Erziehungsziel in öffentlichen Schulen
- die Strafbarkeit sogenannter Gotteslästerung (§166 und §167 im StGB)
- Aufführungs- und Tanzveranstaltungsverbote sowie Versammlungs- und Demonstrationsverbote an staatlich sanktionierten Feiertagen
- Tendenzen zur Aushöhlung der demokratisch und rechtsstaatlich legitimierten Justiz durch Kirchenrecht und Schariavorstellungen
- religiös begründete Schikanierungsversuche von ausländischen Staaten und staatsnahen Einrichtungen auf gläubige, aber auch nicht- und andersgläubige EinwanderInnen in Deutschland und deren Nachkommen
- Vorhautbeschneidung aus religiösen oder anderen nicht medizinischen Gründen bei minderjährigen Knaben sowie andere Formen der Missachtung von Kinderrechten
- Verweigerung medizinischer Maßnahmen aus religiösen Gründen durch Erziehungsberechtigte oder Ärzte
- die Tendenzen zur Aufweichung der Schulpflicht durch Herausnahme von SchülerInnen vom Schulunterricht und Abmeldung beispielsweise vom Biologie-, Sexualkunde- und Sportunterricht
- die Trennung von Militär und Kirche
- die bisherige Bevorzugung der Ehe vor anderen Formen von Familienbildungsformen
- die Einengung individueller Rechte durch religiös begründete Gruppen- und Familienzwänge
- Zwangsverheiratung
- die Möglichkeiten von Trauungen mit religiösen Zeremonien ohne standesamtliche Eheschließungen
- der Eid als rituelle Grundlage in Politik und Recht
- Überprüfung der gesetzlichen Feiertage
- Gebührenpflicht für Kirchenaustritt
- Sonderregelungen zum Töten von Tieren und auf besondere Weise aus religiösen Gründen (beispielsweise durch Schächten)
Beispiele für unser Wirken in die Gesellschaft und die Glaubensgemeinschaften selbst sind das Eintreten gegen
- religiös begründete Frauendiskriminierung und Segregationstendenzen, z.B. in Ausbildungsstätten und im gesellschaftlichen Leben
- religiös begründete Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuelle, Transgender, Intersexuellen und anderen Menschen, die nicht heteronormative Liebesbeziehungen führen wollen
- religiös begründete oder geduldete Gewalt gegen Kinder (Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit, psychisch und physisch demütigende Maßnahmen oder Drohgebärden)
- religiös begründeten und gerade auch unbewusst religiös motivierten Rassismus, Antisemitismus und Hass gegenüber anderen Gruppen und Minderheiten
Die Säkularen Grünen greifen die Vielfalt der vertretenen Positionen und Meinungen auch innerhalb der einzelnen Glaubens- und Weltanschauungs- gemeinschaften auf, denn religiös gebundene oder abstinente Menschen bilden keine monolithischen Blöcke, sondern sind heterogene Diskursverbünde.
Daher appellieren wir an die Religionsgemeinschaften,
- Beschneidungen von Säuglingen und Kindern nurmehr symbolisch durchzuführen
- mit der religiös begründeten Diskriminierung und Unterdrückung von Frauen, von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern, Intersexuellen und anderen Minderheiten aufzuhören
- das Recht auf körperliche Unversehrtheit auch bei Kindern und Jugendlichen zu achten und bislang dem noch entgegenstehende Rituale zu modifizieren
- aktiv gegen jegliche Bestrebungen vorzugehen, welche bislang das selbstbestimmte Verlassen der betreffenden Gemeinschaft behindern oder gar sanktionieren
- die Verunglimpfung Andersdenkender einzustellen
- die Misshandlung von Tieren, z. B. Schächten, aufzugeben
- jeden Anspruch, die eigene religiöse bzw. weltanschauliche Überzeugung oder Teile von ihr zum verbindlichen Maßstab für alle zu erheben, aufzugeben
- Heirats- und Scheidungs-Gebote, -Verbote und -Einschränkungen aufzugeben oder doch zumindest Toleranz zu üben
- ihre innere Verfassung demokratisch zu gestalten und auch Inhalte der Glaubenslehre, sowie Gebote, Verhaltensnormen und Praktiken innerhalb der Gemeinschaften auf demokratische Weise auszuhandeln
- legale Ereignisse des Privatlebens ihrer Mitglieder als Ausweis deren legitimer Selbstbestimmung anzuerkennen und nicht länger als Begründung für religiöse Sanktionen zu verwenden
- ihren Mitgliedern im vereinsrechtlichen Sinne den Rechtsweg zu ermöglichen und jegliche neben dem staatlichen Recht und der üblichen Vereinsautonomie bislang angemaßte eigene Gerichtsbarkeit einzustellen
Köln, den 23. März 2013
Zum Grundstatement des Bundesweiten Arbeitskreises Säkulare Grüne