Abschlussbericht der BuVo-Kommission „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“ veröffentlicht – Stellungnahme des Vorstandes des Bundesweiten Arbeitskreises Säkulare Grüne
Wir begrüßen das jetzt veröffentlichte Ergebnis der zweijährigen Arbeit der Bundesvorstands-Kommission „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“. Aus dem Kommissionsbericht ergeben sich eine Reihe deutlicher religionspolitischer Reformvorschläge. Auf Grundlage des Berichts werden in den nächsten Monaten innerhalb Bündnis 90 / Die Grünen die Religions- und Weltanschauungspolitik, die Bedeutung und Ausformung staatlicher Neutralität gegenüber Religionen und Weltanschauungen in einer freiheitlich-pluralistischen Gesellschaft breit diskutiert werden. Im Herbst 2016 steht diese Thematik auf der Tagesordnung der Bundesdelegiertenkonferenz in Münster. Damit ist eine lange Periode religionspolitischer Abstinenz der Partei beendet.
Bündnis 90 / Die Grünen ist in der deutschen Parteienlandschaft wieder einmal führend: die Thematisierung und Behandlung von Reformvorhaben zum „Religionsverfassungsrecht“ in einer pluralistischen Gesellschaft kommt bei den anderen Parteien nicht vor. An dieser Vorreiterrolle der Partei hat der Bundesweite Arbeitskreis Säkulare Grüne, der mit mehreren Vertreter*innen (Berivan Aymaz, Mariana Pinzón Becht (zeitweilig für sie Diana Siebert), Jürgen Roth und Walter Otte) in der Kommission mitgearbeitet hat, einen ganz wesentlichen Anteil. Säkulare Grüne haben mit BDK-Anträgen im Jahr 2013 das Zustandekommen der Kommission erheblich vorangebracht.
Der Kommissionsbericht enthält wichtige Aussagen in einem säkularen Sinne zu einer Neubewertung der gesellschaftlichen Situation in Deutschland. Diese Aussagen berücksichtigen die veränderte religiöse und weltanschauliche Zusammensetzung der bundesdeutschen Gesellschaft. In Anbetracht der ständig steigenden Zahl von konfessionsfreien Menschen, der sich vertiefenden Binnendifferenzierung innerhalb der großen Kirchen, des Hinzukommens weiterer Religionen, der Bedeutung kleinerer Religionsgemeinschaften sowie der wachsenden Bedeutung von Weltanschauungsgemeinschaften ist eine politische Neubewertung dringend notwendig.
Ein „Weiter so“ bisheriger grüner Religionspolitik wird es nicht geben: Bündnis 90 / Die Grünen wird künftig nicht einfach bloß „Religionspolitik“ machen, sondern die reale gesellschaftliche Situation auf diesem Gebiet zu berücksichtigen haben.
Generell stellt der Kommissionsbericht fest, dass „der säkulare Staat … den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gegenüber neutral sein und organisatorisch prinzipiell von ihnen getrennt sein (muss).“ Diese Gemeinschaften haben ein „verfassungsrechtlich garantiertes Selbstordnungs- und –verwaltungsrecht“, das allerdings – so stellt die Kommission fest – nicht unbeschränkt gelte. Die Kommission hat vermieden, den die Rechtsposition der Religionsgemeinschaften überhöhenden Begriff des „Selbstbestimmungsrechts“ zu verwenden. Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften werden als Teil der Zivilgesellschaft bewertet. Insofern wird weder Religion noch Weltanschauung in die rein private Sphäre verdrängt. Zugleich wird aber betont, dass Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften „eine wichtige Säule für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie konstitutiv für eine lebendige Demokratie sein“ können. Sie müssen sich diese Rolle aber bei Achtung der „Grundprinzipien der Verfassung“, der auch – selbstkritischen – Beteiligung am öffentlichen Diskurs, der Relativierung ihrer Ansichten im Verhältnis zu anderen Meinungen gewissermaßen erarbeiten. Sie stehen in keiner Weise über anderen Beteiligten an der Zivilgesellschaft.
Aus grün-säkularer Sicht können wir mit Zufriedenheit feststellen, dass eine Reihe unserer Positionen ihren Niederschlag im Kommissionsbericht gefunden haben:
Zum “Kirchlichen Arbeitsrecht” sind Reformvorschläge enthalten, die eine Verbesserung der Grundrechtspositionen der dort beschäftigten Arbeitnehmer*innen bewirken werden. Beschäftigte bei Caritas und Diakonie sollen gleichgestellt werden mit Beschäftigten beispielsweise in Betrieben der AWO oder des DRK. Zudem soll der Tendenzbereich („Verkündigungsbereich“) eng gefasst werden.
Im Bereich der Kirchenfinanzen konnten wir Schritte zur Beseitigung von Ungerechtigkeiten zum Konsens bringen. Es wird vorgeschlagen, auf die pauschale Kirchensteuer bei geringfügig Beschäftigen zu verzichten, ferner eine Reform bei der Besteuerung glaubensverschiedener Ehen durchzuführen, damit die Ehegatten durch das Splitting nicht für eine Religionsgemeinschaft steuerpflichtig werden, der sie nicht angehören. Auch der rechtssichere und kostenlose Kirchenaustritt ist eine unser Forderungen, die im Papier Eingang gefunden haben. Zudem sollen die Kirchenfinanzen transparent gemacht werden; auf die Abschaffung der sog. historischen Staatsleistungen soll hingearbeitet werden.
Der Kommissionsbericht enthält Vorschläge zum Feiertagsrecht, die bei Aufrechterhaltung des starken sozialen Schutzes gesetzlicher Feiertage u.a. eine weitgehende Liberalisierung der bislang religiös bedingten Einschränkungen des Alltagsverhaltens der Bevölkerung vorsehen („Tanzverbote“). Zudem werden Grundsätze erstellt, nach denen auch Angehörige anderer Religionen und von Weltanschauungen die Möglichkeit zur Arbeitsbefreiung an ihnen wichtigen Feiertagen gegeben sein wird; im Bericht werden diskriminierungsfreie Grundsätze für eine Arbeitsbefreiung für alle zur Wahrnehmung ihrer religiösen und weltanschaulichen Belange formuliert.
Die Kommission fordert die Entwicklung einer neuen öffentlichen Gedenk- und Trauerkultur (etwa nach Katastrophen und Unfällen), die der religiösen und weltanschaulichen Vielfalt Rechnung trägt.
Es wird einvernehmlich von der Kommission bekräftigt, dass der sog. Blasphemieparagraf 166 StGB abgeschafft werden soll. Die rechtliche Anerkennung in Statusfragen wurde in der Kommission kritisch diskutiert. Wir konnten uns mit unserer Forderung nach einer Infragestellung des Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts und der damit
verbundenen Privilegien nicht durchsetzen.
Der Kommissionsbericht enthält deutliche Kritik an der bislang von grüner Seite praktizierten Politik gegenüber den konservativ-orthodoxen Islamverbänden, die vorrangig national und politisch ausgerichtet sind. Dadurch wird eine offenere Diskussion über die Repräsentanz der Muslim*innen in Deutschland möglich und auch die Pluralität der Stimmen kann im Diskurs um den Islam in Deutschland sichtbarer gemacht werden.
Aus den Erfahrungen des Umgangs mit der „Beschneidungsdebatte“ 2012 und der „Sterbehilfedebatte“ 2014 / 2015, bei denen die Gesamtpartei weitgehend ausgeschlossen war, zieht die Kommission Konsequenzen und schlägt Verfahren zur Diskussion „ethischer Themen“ innerhalb Bündnis 90 / Die Grünen vor, die dann auch in Debatten und Voten auf Bundesdelegiertenkonferenzen münden sollen. Ziel ist es, den Ausschluss von Debatten innerhalb der Partei künftig zu vermeiden.
Nicht sämtliche Positionen der Säkularen Grünen sind in dem Kommissionsbericht, der Ergebnis einer auf Konsens orientierten Arbeitsweise ist, berücksichtigt worden. Differenzen werden im Kommissionsbericht allerdings als Dissens ausgewiesen. Dies betrifft insbesondere die Themen „Kirchensteuer“ und „Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts“. Wir Säkulare Grüne halten an unseren Forderungen hierzu fest, weil wir überzeugt sind, dass Gleichberechtigung in der Religionspolitik nur durch die Abschaffung der bestehenden Privilegien erreicht werden kann und nicht durch die Ausweitung von diesen. Auch der Datenschutz kann nur verwirklicht werden, wenn der Staat die Kirchensteuer nicht mehr eintreibt. Die Ablösung der historischen Staatsleistungen muss vorangetrieben werden.
Wir sehen insgesamt in dem Arbeitsprozess und dem Arbeitsergebnis der Kommission einen positiven nach vorne gerichteten Schritt, der deutlich macht, dass Bündnis 90 / Die Grünen auch die Herausforderungen auf diesem Gebiet angeht und Lösungen erarbeitet.
Wir sehen der parteiweiten Debatte mit großem Optimismus entgegen. Für den Vorstand des Bundesweiten Arbeitskreises Säkulare Grüne
Mariana Pinzón Becht Walter Otte
Erste Stellungnahmen / Kommentare zum Kommissionsbericht sind bereits
veröffentlicht worden:
Humanistischer Verband Deutschlands / HVD
Kath.net / Katholische Nachrichten
Humanistischer Pressedienst / hpd – Stellungnahme von Ingrid Matthäus-Meier
Für den Vorstand
Walter Otte