Berlin: Zynischer Umgang mit trauernden Hinterbliebenen – Diskriminierung von Religionsfreien selbst bei der Abschiednahme Verstorbener
Mit Befremden haben wir zur Kenntnis genommen, dass aller Lockdown-Maßnahmen zum Trotz sogenannte „religiös-kultische Veranstaltungen“ in Berlin explizit von den Teilnehmerobergrenzen für Veranstaltungen ausgenommen sind. An Bestattungen ohne Priester oder Prediger dürfen in geschlossenen Räumen maximal 20 Personen teilnehmen. Nicht so, wenn ein religiöser Geistlicher die Trauerrede hält: in diesem Fall wertet die Berliner Gesundheitsverwaltung dies als religiös-kultische Veranstaltung, sodass unbegrenzt viele Menschen teilnehmen können.
Diese Verfahrensweise empfinden wir als empörend und abstoßend. Nicht nur, dass auf diese Weise die mit deutlicher Mehrheit konfessionslose Berliner Bevölkerung eine nachhaltige Diskriminierung erfährt, nicht nur, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz mit Füßen getreten wird.
Es ist auch überaus instinktlos und zynisch, mitten in einer lebensbedrohlichen Pandemie das Entstehen einer Zwei-Klassen-Gesellschaft angesichts des Todes in dieser Weise zu fördern. Trauer ist ein zutiefst menschliches Phänomen, das vor keiner Weltanschauung und keiner Religion Halt macht. Gibt es weniger Trauer bei religionsfreien Menschen als bei religiösen? Ist die Trauer religiöser Menschen höherwertig? Hier künstlich aus ideologischen Gründen einen Keil zwischen Menschen zu treiben, halten wir für zutiefst inhuman. Darüber hinaus sollte es in einer aufgeklärten Gesellschaft selbstverständlich sein, dass Infektionsschutz keine religiösen Grenzen kennen darf.
Den Senat und die politischen Parteien fordern wir daher auf, gegenüber den Religionsgemeinschaften eine klare Haltung in diesem Sinne einzunehmen und – soweit erforderlich – die Corona-Bestimmungen für Berlin sofort zu ändern, damit jegliche religiöse Privilegierung unterbunden wird. Denn religiöse Privilegierung bedeutet eindeutig: Diskriminierung von trauernden Religionsfreien.
Weiterhin rufen wir alle Religionsgemeinschaften eindringlich dazu auf, wenn schon nicht aus innerer Überzeugung, so doch aus Vernunftgründen von ihren Privilegien keinen Gebrauch zu machen, solange die Pandemie-Krise anhält, sondern sich explizit mit der Mehrheit der Gesellschaft solidarisch zu erklären.
LAG Säkulare Grüne Berlin
Berlin, den 09.11.2020